
Ja, mein Sheltie ist ein Leinenpöbler! Seit er massiv von einem anderen Hund bedrängt und angegriffen wurde hält er andere Hunde von sich fern, indem er sie verbellt. Lange hatte ich daran zu knabbern und stellte mir nicht selten die Frage, wieso ich?! wenn ich wieder mal mit hochrotem Kopf die Flucht ergreifen musste.
Trotz Training und Managmentmaßnahmen kann es ab und zu schon mal vorkommen, dass er bei einem Hund, der ihn fixiert und mit drohender Körperhaltung auf uns zu kommt in die Leine geht und bellt. Das ist allerdings schon ein Fortschritt, denn nach der Attacke tobte er schon, wenn er nur den Geruch eines anderen Hundes kilometerweit entfernt wahrnahm. Mittlerweile selektiert er schon und meist „nur mehr“ unkastrierte Rüden werden vertrieben.
Seit einer Weile bleibe ich bei solchen Begegnungen entspannt, aber ich muss zugeben, bevor es dazu kam, dass ich nichts von seiner (in diesen Momenten echt negativen) Energie übernahm, kostete mich das viel Zeit und Tränen. Ganz davon zu schweigen was ein leinenaggressiver Hund für den Alltag bedeutet.
Entspannt in einem Kaffeehaus sitzen endet spätestens, wenn ein anderer Hund im Cafe um die Ecke kommt. Spaziergänge zu stark frequentierten Zeiten? Ein absolutes NO GO. Gemütlich in der Stadt flanieren? NEVER! Dazu noch die Blicke und Kommentare von anderen Hundehaltern und Nicht- Hundehaltern…Hinzu kommt noch, dass ich zwei Hunde habe die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Ersthund – Louis – ist ein gemütlicher Zeitgenosse, sehr höflich, mit einem ausgeprägten will-to-please. Typisch Sheltielike liebt er es zu bellen, aber eher als auffordernde Geste. Chester dagegen, ist der emotionale Typ, der sich nicht mehr einkriegt, der wegen nichts in Sekunden auf 100 sein kann. Aber da ist auch die andere Seite von ihm, absolut sozial gegenüber Menschen, ein Kuschelmonster und witziger Kerl. All das sehen die kopfschüttelnden Menschen nicht, wenn er wieder mal an der Leine tobt.
Ich habe zu Beginn immer den Fehler gemacht und ihn zu besänftigen versucht, wenn er wieder mal getobt hat, aber das hat ihn natürlich nur bestätigt und deswegen ist es zu einem großen Teil auch meine Schuld, dass sich dieses Verhalten so stark ritualisiert hat. Ich bin ehrlich. Ich wusste, dass es nicht förderlich war ihn zu besänftigen, aber es war ein reiner Automatismus.
Ist es nicht menschlich, neigen wir nicht dazu jemanden beruhigen zu wollen wenn er in Rage ist, unsicher ist oder Angst hat?
Mit der ritualisierten Leinenaggression ist es so wie mit dem Rauchen aufhören- diejenigen die es schon versucht haben oder sogar geschafft haben werden wissen was ich meine. Beim Rauchen spielen Rituale eine große Rolle. Die Zigarette nach der Arbeit, nach dem Kaffee, bei großem Stress. Dieses Verhalten hat sich meistens über Jahre etabliert und es ist ganz schwer dieses Ritual, was auch seinen Zweck erfüllt, zu verändern. Wir sind aber vernünftig denkende Menschen, wir wissen dass die Zigarette gesundheitsschädlich ist und dass es besser wäre, wenn wir aufhören, dennoch ist es unglaublich schwierig davon zu lassen. Es ist nicht nur mit dem Rauchen so, diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Auch kleine Dinge, wie der regelmäßige Kaffee am Morgen, lassen sich nur schwer ändern, wenn es schon zu einem Teil von uns geworden ist.
Wenn es für uns Menschen schon so schwer ist ein ritualisiertes Verhalten zu verändern – um wie vieles schwieriger mag es dann für unsere Vierbeiner sein?
Genauso ist es bei Chester – nach dem Vorfall hat er sich gedacht „Angriff ist die beste Verteidigung“ und hat das gleich auf alle Hunde, egal wie groß oder klein, generalisiert. Sein Verhalten ist immer noch stark ritualisiert – beschränkt sich aber, wie gesagt, eher auf unkastrierte Rüden. Der Angreifer war zum Beispiel ein riesiger schwarzer Hund, dennoch sind große schwarze Hunde, die er gut kennt und das sind einige, von seinen Leinenpöblereien ausgenommen. Es kann auch, muss aber nicht, sein, dass ein Hund mit einer Leinenaggression sich auf bestimmte Typen oder Rassen spezialisiert.
Ich erweitere mein Repertoire an Managmentmaßnahmen stetig und analysiere mein Verhalten ausgiebig, wenn es wieder einmal geknallt hat. Beispielsweise neigte ich dazu, wenn ein anderer Hund auf uns zu kam, kurz stehenzubleiben, das hat die Begegnung noch einmal deutlich verschärft. Generell schaue ich, dass ich Begegnungen vermeide, wo die Hunde frontal aufeinander zugehen, wo also kein Bogen gehen möglich ist. Da kehre ich lieber um, oder wechsle die Straßenseite. Manchmal passiert es, dass sie sich bereits auf hunderte Meter zu fixieren beginnen und Chester sich dann hinlegt. Ich habe zuvor dann immer auf den anderen Hund gewartet, nun sage ich ein Wort als Vorbereitung zu ihm, bevor ich ihn ans Geschirr greife und bewege ihn sanft zum Aufstehen, er kommt dann relativ schnell mit und wir können die Richtung wechseln. Anders ist es bei „überraschenden“ Begegnungen, da bleibt mir nur übrig abzuwarten und gegebenenfalls meinen Hund zu schützen.
Die Sache mit der Nervosität
Die Liste der Fehler die ich beging ist lange, zum Beispiel, habe ich aufgrund meiner negativen Erwartungshaltung die Leine immer sehr straff gehalten, weil er ja auch in die Leine springt. Unser Wohngebiet ist sehr verkehrsreich und ich hatte echt Angst, dass er mal in ein Auto hüpft. Also musste ich einmal bei mir mit dem Training ansetzen, nämlich zu lernen wie ich es schaffe, die Leine wieder entspannt zu halten. Oft habe ich auch bemerkt, dass ich die Luft anhalte sobald ich ein anderes Mensch-Hund-Team schon von weitem sah. Ich muss also auch auf meine Atmung achten. Ich habe versucht ein Alternativverhalten wie Sitz, Platz oder einfach nur “sich zu mir drehen” zu etablieren, aber das hat nicht so gut geklappt, weil er immer das Gefühl haben muss, dass er aus der Situation wegkommt, ein Sitz oder Platz wäre hier eher kontraproduktiv und würde die Situation noch mehr anspannen. Chester ist ein Hund, der – wenn er die Chance dazu bekommt – sehr wohl ausweicht, deswegen ist es am besten bei ihm- so schnell wie möglich weg zu kommen. Wenn man die Distanz vergrößert zeigt er von sich aus Beschwichtigungssignale wie am Boden schnüffeln und sich vom anderen Hund abzuwenden, was ich dann intensiv wörtlich lobe.
Sehr gute Erfahrungen habe ich mit einem Handtarget gemacht. Ich habe es konditioniert indem ich ihn mit der Nase meine Handfläche anstupsen ließ und es geklickert habe. So kann ich ihn – wenn die Entfernung zum anderen Hund noch weit genug ist, aus der Situation führen. Ich denke, dass klappt so gut, weil er sich bewegen kann.

Das Leben mit einem leinenaggressiven Hund kann sehr herausfordernd sein, vor allem wenn er dazu noch hochsensibel ist und jede Veränderung in der Atmung, jedes nervöse Blinzeln und jede veränderte Körperhaltung sofort registriert, aber mit konsequenten Training kann man es schaffen geeignete Managmentmaßnahmen zu finden, mit denen ein Spaziergang nicht mehr zum Spießrutenlauf wird. Jeder Hund ist anders, deswegen lassen sich meine Erfahrungen nicht auf jeden Hund mit Leinenaggression pauschalisieren. Ich habe ja nach wie vor noch die Hoffnung, dass die Leinenaggression einmal ganz verschwindet. Das irgendwann der Tag kommt, an dem er souverän bei anderen Hunden vorbeigehen kann. Ich kann nur jedem Menschen raten, der auch mit solch einem Problem konfrontiert ist,nicht aufzugeben und sich die vielen positiven Eigenschaften seines Lieblings ins Gedächtnis zu rufen, wenn man wegen der Pöbelei wieder entnervt is, denn aufgeben ist keine Option 🙂
Heike
Hallo Lisa,
danke für deinen Bericht. Ich habe meine Hündin und mich in jedem Wort wiedergefunden. Nur weiß ich leider nicht warum sie an der Leine pöbelt, da ich sie genau so übernommen habe (aus dem Tierschutz). Natürlich ohne zu wissen, was da für eine Aufgabe auf mich zukommen wird. Und wäre sie nicht in allen anderen Lebenslagen ein so absolut und total bezauberndes Wesen, dann hätte ich auch längst aufgegeben.
Ich habe sie nun ein Jahr. Inzwischen sind wir soweit, dass wir mit einem persönlichen Wohlfühlabstand an anderen Hunden vorbei kommen. Sobald sie merkt, sie muss sich mit dem anderen Hund nicht befassen (Frauchen hat es im Griff), dann will sie eigentlich nur noch schnell, schnell vorbei und weg. Sie hat Angst. Große Angst. Ich akzeptiere und respektiere das inzwischen und freue mich über jedes Mal, wenn sie ihre Angst überwindet und mir vertraut.
Lisa
Liebe Heike, vielen, vielen Dank für dein Kommentar. Ich finde es so toll das du eine Hündin aus dem Tierschutz übernommen hast. Ich verstehe, dass du schon oft mit deinem Latein am Ende warst. Es ist wirklich eine herausfordernde und auch Nerven zehrende Situation. Ich denke da immer an einen Spruch der mir mal von jemanden mittgeteilt wurde ” Wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten”. Mir kommt immer vor, je herausfordernder die “schwierige” Seite des Hunde ist, desto charismatischer und schöner ist die gute Seite des Hundes. Wie du gesagt hast, da ist die pöbelnde Seite von ihr deren Ursache große Angst vor anderen Hunden ist und dann ist da diese bezaurbende Seite, die alles aufwiegt. Ich finde es so toll, dass ihr schon an so einem guten Punkt in ihrem Training seid! Wenn sie weg will zeigt sie dir ihre Bedürfnisse und du respektierst ihren Sicherheitsabstand, den sie, warum auch immer, braucht. Ihr wächst gemeinsam und ich denke manche Hunde kommen in unser Leben, damit auch wir etwas lernen. Ich lerne von meinem pöbelnden Hund jeden Tag soviel. Noch einmal Hut ab vor deinem Trainingserfolg in kurzer Zeit und das sie dir schon so sehr vertraut.